Interview/Film
Warum schreiben Sie?
Weil ich in meinen Büchern alle meine Eigenschaften, die ich gerne hätte, wenigsten einer meiner Figuren geben kann. Ich kann mich ver- und entlieben, kann Rache nehmen und verzeihen. Ich spiele Gott, bin Regisseurin, Ausstatterin und Schauspielerin in einer Person. Ein herrliches Gefühl!
Wie lange recherchieren Sie für Ihre Romane?
WORÜBER ICH SCHREIBEN WILL, UM WAS ES GEHEN SOLL, die ersten Ideen für das Grundgerüst der Geschichte – all das fällt mir meistens recht schnell ein. Ich klebe Fotos oder passende Zeitungsausschnitte in ein großes Buch mit Blankoseiten, probiere Namen aus, skizziere Grundrisse von Wohnungen und Übersetzerbüros. Oft male ich Schaubilder und hänge sie an die Wand. Anfang, Mitte und Schluss jedes Romans steht also im Groben fest.
Doch es dauert ungefähr sechs Monate, bis ich mit meinen Figuren, die die Handlung ja vorantreiben sollen, vertraut bin. Ich kann nicht loslegen, bevor ich nicht ganz genau weiß: Wo leben meine
Hauptfiguren, was für eine Kindheit hatten sie, was treibt sie an, wie reden sie, was für einen Beruf üben sie aus? Gerade die unterschiedlichen Berufe machen mir Spaß. Ich interviewe dann einige Leute aus dem Bereich, der mir vorschwebt, und lerne unheimlich viel dazu. Manches kann ich aber auch trotz intensiven Zuhörens und Fragens nicht nachvollziehen, dann bleibt der Berufswunsch eben unerfüllt…
Zum Beispiel sollte Lella aus dem Limonenhaus ursprünglich Sängerin werden. Trotz einiger Interviews und viel Phantasie konnte ich aber nicht in ihren Körper beim Singen schlüpfen. Also wurde Lella Köchin. Das passte auch viel besser zu
ihr, habe ich später beim Schreiben gemerkt. Denn zum Singen braucht man Freude, die Lella zu diesem Zeitpunkt nicht in sich trug.
In diese Zeit fällt auch die Recherche. Wenn es z.B. um Informationen über das Adoptionsrecht in Italien oder eine Blindarmoperation und ihre möglichen Folgen geht, befrage ich Menschen, die sich genau auf diesem Gebiet auskennen.
Ich frage und forsche so lange, bis ich es in meine eigenen Worte beschreiben kann. Ein Jahr später lasse ich den Text möglichst von meinen Interviewpartnern gegenlesen. Die Anmerkungen und Korrekturen sind meistens länger als meine Textabschnitte. Die Ärzte sind die Schlimmsten…
Gibt es eine Figur in Ihren Büchern, mit der Sie sich identifizieren?
Ein bisschen von mir steckt in jeder Figur, die ich erfinde. Keine Ahnung, warum ich die Bösen so liebe…
Wenn Sie sich für bestimmte Schauplätze und Milieus entschieden haben, recherchieren Sie dann auch vor Ort?
AUF JEDEN FALL! Ich reise dorthin, wo mein Buch spielen soll, und bleibe möglichst lange. Ich bin gerne allein unterwegs, denn nur dann habe ich die Einsamkeit, die ich brauche, um alles noch schärfer, wie durch eine Lupe, zu sehen. Und den Mut, Leute anzusprechen.
Ich tue es ja nur für’s Buch!, denke ich mir, wenn ich wildfremde apulische
Busfahrer, sizilianische Friseusen oder Kindermädchen ausfrage, oder mich in toskanischen Bars herumdrücke, um etwas über die Produktion von Speiseeis zu lernen.
Beim Schreiben muss ich alles vor mir sehen, ich mache viele Arbeitsfotos, die ich mir über den Schreibtisch hänge oder am Computer anschaue. Außerdem muss ich die
Dinge riechen können, oder mir zumindest einbilden, es zu können. Der staubige Betrieb, aus dem die Marmorplatten kommen, die Küche einer heruntergekommenen WG über einem Nachtclub, ein verschimmelter Wohnwagen, eine Schusterwerkstatt, ein kleines Kabuff unter einer Treppe.
Wie muss man sich Ihren Arbeitstag vorstellen?
Wenn die Kinder morgens zur Schule gehen und die Tür hinter ihnen zu fällt, mache ich mich ans Werk. Wenn ich mich schon direkt im Schreibprozess befinde, überarbeite ich zunächst die Seiten des Vortags. Da gibt es immer einiges zu kürzen, ich finde meistens noch bessere Wörter, treffendere Ausdrücke, streiche überflüssige Adjektive und Adverben. Zum neuen, ins unreine Schreiben muss ich mich manchmal zwingen. Aber ich habe gelernt, dass man mit einem schlechten Text mehr anfangen kann, als mit gar keinem Text…
Also versuche ich, etwa vier bis fünf Manuskriptseiten pro Tag zu schaffen.
Wie gelingt es Ihnen, sich in die Gefühlszustände ihrer Figuren hineinzu-versetzen?
ICH KANN MICH SOWOHL AN DIE GLÜCKLICHEN ALS AUCH UNGLÜCKLICHEN ZEITEN IN MEINEM EIGENEN LEBEN ERINNERN. Manchmal nehme ich auch
meine alten Tagebücher zur Hilfe. Obwohl die Gefahr groß ist, sich im Lesen zu verlieren, oder über die eigene Peinlichkeit zu lachen… Wenn sonst nichts hilft, höre ich Musik. De
Soundtrack zu „Nuovo Cinema Paradiso“ von Ennio Morricone hilft immer. Je nachdem was ich benötige, durchströmen mich Glücksgefühle oder ich breche in Tränen aus!
Welche Reaktionen erhalten Sie von Ihren LeserInnen?
NATÜRLICH GEFALLEN MEINE BÜCHER NICHT ALLEN LESERINNEN, die Geschmäcker sind verschieden, das ist normal. Aber auch die, die meine Bücher mögen, beschweren sich manchmal… Sie möchten sofort nach Italien fahren, haben aber gerade keinen Urlaub. Sie bekommen während des Lesens Hunger, doch keine sizilianische Caponata steht in ihrem Kühlschrank. Sie sind morgens müde, weil sie bis tief in die Nacht gelesen haben.
An dieser Stelle: es tut mir leid!